Geburtsbericht zum 11. Juli 2016
Die Geburt ging so allmählich los, als ich so richtig keine Lust mehr drauf hatte und Eva mich fragte, ob ich ins Krankenhaus wolle. „Nein.“ – Die Antwort kam prompt. Ich wollte nur die blöden (Wehen-)Schmerzen am liebsten augenblicklich loswerden, die mich schon über 24 Stunden lang „in Atem“ hielten – allerdings musste mich Eva erst mal wieder an eine passende Atmung erinnern, als sie eintraf. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, Eva um Mitternacht herzuholen, nur weil ich keine Lust auf eine weitere schlaflose Nacht hatte. Wehen im 5-Minuten-Takt waren das noch nicht. Eva nahm mir das schlechte Gewissen mit einem „Warum, wolltest Du Dein Kind allein kriegen und ich sollte bloß noch zum Abnabeln kommen?“ Natürlich nicht. Aber - ich hatte mir das doch ganz anders vorgestellt: motiviert und mit Freude den Geburtsbeginn anzunehmen und erst mal die Wehen allein zu veratmen, mich frei im Haus und draußen bewegen zu können. Das war aber schon über 24 Stunden her. Mittlerweile lag ich total frustriert auf dem Sofa, rührte mich keinen Millimeter mehr (sonst ginge die nächste Wehe los) und haderte mit meinem Schicksal. Musik und Kerzenschein – mir gerade sowas von egal. Wichtig waren neben Evas Anwesenheit nur der Arm des Partners und die Spuckschüssel. Soviel zum Beginn.
Die nach einer Weile durchgeführte vaginale Untersuchung ergab immerhin, dass der Muttermund schon 2 cm offen war, was mich mit dem bisherigen Schmerz etwas versöhnte, da er nicht „sinnlos“ gewesen war. Jede der Untersuchungen wurde in einem passenden Moment mit der Frage eingeleitet, ob mal wieder nachgeschaut werden dürfe, was ich natürlich bejahte, denn ich wollte ja selbst wissen, ob sich die bisherige Mühe „gelohnt“ hatte. Ich hatte aber das Gefühl, auch jederzeit „nein“ sagen zu können. Auch das Abhören der kindlichen Herztöne immer mal wieder führte zu dem beruhigenden Ergebnis „Alles bestens“. Ich hatte keine Sekunde einen Zweifel, dass etwas nicht stimmen könnte, denn ich wusste, dass das Hebammenteam sofort reagiert hätte; trotzdem war für mich die Bestätigung, dass alles „normal“ sei, immer wieder ganz wichtig. Für mich war der Zustand ja mehr als außergewöhnlich, und zu wissen, dass es ganz „normal“ sei, dass es so weh tue, oder dass es so lang dauere, half mir, mich mit der Situation zu arrangieren.
Auch hinsichtlich der Positionen hatte ich immer alle Freiheiten, wobei ich mich bei fortschreitender Geburt ganz auf die Vorschläge von Eva und Marlene verlassen habe, in dem Wissen, dass deren Empfehlungen sicher gut für mich und den Geburtsverlauf sind. So befand ich mich zuerst mehr als 12 Stunden auf dem Sofa, dann längere Zeit im Geburtspool, später auf dem Bett und zum Schluss kurz auf dem Geburtshocker und dann in der tiefen (gestützten) Hocke.
Als Marlene als zweite Hebamme eintraf, wusste ich, dass es allmählich „ernst“ wurde mit der Geburt – nichts wünschte ich mir mehr, als endlich diesen Zustand hinter mich zu bringen. Ich habe nachher zwei Tage gebraucht, um mich mit den Schmerzen zu versöhnen, wahrscheinlich auch, weil ich von dem ganzen Erlebnis so überrollt war. Auch wenn absolut nichts Dramatisches vorgekommen ist, hat es mir zur Verarbeitung/Verstehen des Erlebnisses gut getan mit meinen Hebammen im Nachhinein über den ein oder anderen Punkt reden zu können. Ebenfalls erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass ich im Leben noch nie so umsorgt worden bin. Nach jeder Wehe bekam ich einen kalten Waschlappen, um mein Gesicht zu kühlen an diesem überaus heißem Tag, oder mir wurde von den Hebammen mit dem eiswürfelgefüllten Waschlappen das Gesicht abgewischt. Da ich die Augen zeitweise nicht mehr aufgemacht habe, kann ich nicht mal sagen, wer mir diesen Dienst erwiesen hat… Nach jeder Wehe ein Schluck zu trinken, nach Wunsch Wasser oder Cola, ich brauchte nur noch am Strohhalm zu saugen. Es hört sich ja komisch an, sich so bedienen zu lassen, sich den Traubenzucker direkt in den Mund geben zu lassen, aber irgendwann war ich so erschöpft, dass ich dankbar für all das war.
Ab einem gewissen Zeitpunkt war eine der beiden immer an meiner Seite, und ich weiß noch, auch wenn Eva mich immer wieder daran erinnerte, die Augen zu zu machen, wie ich hin und wieder blinzelte, ob sie noch da ist – sie oder Marlene, egal wer, Hauptsache da. War natürlich immer so!
Sicher muss nicht jede Frau bei der Geburt die Augen zu haben, wahrscheinlich war es nur eine Hilfe, weil ich wohl, wie ich selbst nach Tagen feststellte, sehr schwer „loslassen“ konnte und lange „das Hirn eingeschaltet“ ließ. Bin halt ein Kopfmensch… Überwiegend aus Vernunftgründen hatte ich mich für eine Hausgeburt entschieden, was heißt entschieden, das war von vornherein klar. Kein Wechsel an einen fremden Ort, keine fremden Menschen, keine Schichtwechsel, keine Krankenhaus-Routine, keine (kranken)hausgemachten Pseudonotfälle, die Statistiken zu Kaiserschnitten und Dammschnitten dazu – es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wie Menschen Sicherheit in Apparaten sehen können statt in der Erfahrung von gestandenen, sympathischen „Geburts-Handwerkerinnen“.
A propos sympathisch, Wohlfühlatmosphäre und Stressvermeidung sind ja wohl die Grundlagen, damit die Hormone, die den ganzen Geburtsvorgang regulieren, überhaupt richtig wirksam werden können – und man damit der Natur erlaubt, wirksam zu werden! Aber ich geb‘s zu, ich habe auch mit der Natur und ihren Hormonen gehadert, und die Endorphine verflucht, deren Wirkung ich nicht feststellen konnte – bis mich Marlene, Stunden später, noch während der Geburt, ganz sanft darauf hinwies „Schau, das sind jetzt die Endorphine, dass Du so müde bist“. Ja, da wusste ich, jetzt sind sie da, und alles wird gut ;-) Oder der Hinweis, wie gut die Hormone funktionierten, so dass die Milch während dieser anstrengenden Wehenphase schon laufe. Mich hat das beruhigt. Mit Sicherheit braucht sich niemand während der Geburt mit Hormonen zu befassen, aber das ist halt die Kunst der erfahrenen Hebammen, dass sie erkennen, wie jede Frau „tickt“ und sie dort „abholen“!
Ich fühlte mich immer gut informiert über den Geburtsfortschritt, auch wenn manches kluger Weise nicht thematisiert wurde, z. B. dass die Kleine erst nicht richtig nachrutschen wollte, sondern mit dem Kopf gegen das knöcherne Becken drückte und dadurch eine dicke Schwellung auf dem Kopf hatte, so dass aus diesem Grund vom Muttermund ziemlich lang ein Rand stehen blieb, der auch erst noch verschwinden musste. Eine „Variante des Normalen“, kein Grund zur Sorge, und dass es deshalb ein wenig länger dauern würde, musste man mir ja nicht auch noch sagen – das hätte mich sicher demotiviert!
Während der ganzen vielen Stunde hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren, auch die Endphase war mit unserem Sternguckermädel bestimmt aufwändig, aber gefühlt und im Nachhinein ging „am Schluss“ alles ganz schnell, überraschend schnell. Endlich war ein Ende in Sicht, endlich konnte ich aktiv den Geburtsfortschritt mitbestimmen, und, wie Eva mir ankündigte, je mehr ich in den Schmerz reinschob, desto schneller hätte ich mein Baby im Arm. Die Fruchtblase platze irgendwann recht spät. Nie war die Rede davon, sie zu öffnen, schon gar nicht ungefragt. Über viele Sachen wurde hier kein Wort verloren, die man im Krankenhaus explizit auf seiner Wunschliste haben muss, in der Hoffnung, dass sie erfüllt werden. Irgendwann, mit einer Wehe, war dann auf einmal nicht nur der Kopf, sondern das ganze Baby da, sicher aufgefangen und abgelegt von Marlene, die lange Nabelschnur ringelte sich darüber und ein Schwall Fruchtwasser platschte darüber, alles in einer Sekunde. „Schau, wie sie liegt, ein Sternguckerbaby“ – während der Geburt hatte mir das auch niemand gesagt, absichtlich in dem Wissen, dass ich bei dieser Tatsache etwas verzweifelt wäre, weil ich gewusst hätte, dass mir damit wieder mehr Mühe auferlegt war…
Im Nachhinein habe ich mehrere Mütter getroffen, die ihren Kaiserschnitt mit der Begründung „Sterngucker“ als vollkommen selbstverständlich notwendig erachten…
Bei uns gab es nicht einen Moment des Zweifelns, keinen einzigen Gedanken mehr ans Krankenhaus, keine Alarm- oder Stresssituation, womit mein Geburtswunsch N° 1 erfüllt war (siehe Karteikarte vom Geburtsvorbereitungskurs!)!
Kurz etwas Schleim abgesaugt, wurde das blasse Baby in Sekundenschnelle kräftig rosa und schrie mal ganz kurz. Keine Minute war vergangen und ich konnte mein Baby in den Armen halten und mit Hilfe aufs Bett umziehen, wir beide umhüllt von einem roten, vorgewärmten Handtuch, um Wohlfühlatmosphäre fürs Baby zu schaffen. So entstanden die ersten Erinnerungsfotos, die wir bereits wenige Tage nach der Geburt immer wieder anschauten und uns an die Situation erinnerten. Als nach gewisser Zeit die Nabelschnur auspulsiert (ganz ohne das auf einen Wunschzettel geschrieben zu haben, hier selbstverständlich) hatte, wurde „gemeinsam“ abgenabelt. Auch die Plazenta war dann abgelöst und konnte geboren werden. Auch in dieser Phase, keine Hektik, alle Zeit der Welt. Irgendwann wurde die Kleine von Marlene gemessen und gewogen und bekam eine Windel angezogen (meine bereitgelegte Stoffwindel, ohne dass ich das erklären musste), während Eva meinen Dammriss nähte. Was hatte ich – schon im Vorfeld - Angst genäht zu werden! Vollkommen umsonst. Noch nie hat jemand so gründlich betäubt, mit Gel und Spray, so dass die Näherei nicht eine Sekunde weh getan hat und Eva in aller Ruhe den Riss ordentlich schließen konnte, so dass dieser auch die nächsten Tage keine Probleme machte.
Eine Windel und eine Mütze waren die nächsten Tage die einzigen Kleidungsstücke, die unser Baby anhatte. Ansonsten war es nur in eine weiche Wolldecke eingehüllt und konnte sich dadurch selbst gut spüren, fast wie vorher im Bauch, und Mama-Baby-Hautkontakt ließ sich spontan und häufig ermöglichen. Nachts gab es, wenn nötig, nur rotes Licht, und tagsüber war die Kleine immer eng bei mir. Wenn sie Hunger hatte, reichte das Schmatzen, Lippen lecken oder Suchen mit dem Mund, damit sie gestillt wurde. Kein Grund zu schreien. Sie hat nur 100g abgenommen und nur einen Tag einen Hauch einer Gelbsucht gehabt. Das Stillen hat problemlos funktioniert, der Milcheinschuss erfolgte unmerklich. Nachts hatte sie 2-3x Hunger, was sie uns ohne Geschrei mitteilte. Nur in der ersten Nacht hat sie zwei Mal ganz laut losgeschrien, ließ sich aber innerhalb von Sekunden durch Ansprache beruhigen – ich denke, da ist sie aufgewacht und hat gerade nicht mehr gewusst, wieso jetzt alles anders ist.
Das war der sanfte Übergang ins selbständige Leben, den ich mir für mein Baby gewünscht hatte, und auch jetzt – Wochen später – habe ich nie ein zufriedeneres kleines Wesen gesehen. Dir Kleine erfüllt das Klischee eines Hausgeburtsbabys perfekt.
Nach der Geburt hatten wir in der ersten Woche zwei Mal täglich Hebammenbesuch, in der nächsten Woche ein Mal täglich, worauf ich mich immer gefreut habe. Eva und Marlene waren mit dem Beginn unserer kleinen Familie so untrennbar verknüpft und mir durch das Geburtserlebnis so nah. Außerdem hatte ich jede Menge Fragen, zum Baby, zu mir bzgl. Wochenbett, zur Geburt. Ich könnte von keinem einzigen Besuch sagen, dass er nicht wertvoll gewesen wäre!
Für diesen so wunderbar begleiteten Start ins Mama-Dasein bin ich unsäglich dankbar, und auch bzgl. der Geburt hat sich der Groll, den ich zugegebenermaßen zwei Tage lang gegen die Schmerzen hatte („Das nächste Mal nur noch Kaiserschnitt“), gelegt und sich, je mehr ich über verschiedene Aspekte nachdenken und sie wertschätzen konnte, ebenfalls in eine tiefe Dankbarkeit gewandelt. So viele Punkte, die hier vollkommen selbstverständlich erfüllt wurden, worum man im Krankenhaus hätte kämpfen müssen (kämpfen und Kontrolle bewahren passt aber nicht zu „Geburt“). Das stundenlange Umsorgtwerden und die Sicherheit, die sie mir gegeben haben. Dankbar, überhaupt betreut worden zu sein. Hausgeburtshebammen sind so rar, und die Chemie soll auch noch stimmen…! Dankbarkeit für dieses „wahnsinnige“ Erlebnis, das ich mir in der Form im Voraus nie hätte vorstellen können. Immer wieder bin ich es in Gedanken durchgegangen und das „Geburtszimmer“ blieb ziemlich lang als solches bestehen, weil ich immer wieder an den Ort des Geschehens ging um dieses Erlebnis zu realisieren. (Auch das: im Krankenhaus schwer möglich).
Ich habe als Kind schon die (wenigen) anderen Kinder beneidet, die sagen konnten, hier bin ich geboren, in diesem Zimmer, hier, zu Hause – für mich als Kind ein greifbarer, vorstellbarer Beginn des eigenen Lebens, nicht wie ich selbst in einer fremden Stadt in einem unbekannten Krankenhaus. Unser kleines Mädel wird sicher eines Tages sagen: „Hier in diesem Zimmer bin ich geboren, mit den Hebammen Eva und Marlene!“
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