Hausgeburt nach Wunschliste – Das Universum spielt mit

 

Linas Geburt

 

 

 

Samstag 23.05.2020 – Es ist der Tag des offiziellen Entbindungstermins (echter ET 21.05.2020).

 

Da die kleine Lina noch nicht unterwegs ist, fahren Markus, Xaver und ich nach Taufkirchen zu Marlene, um ein CTG zu schreiben. Während Marlene mich heftig nadelt, schreibt das CTG wunderbare Herztöne auf. Wir fahren also wieder nach Hause und es beginnt für mich ein durchwegs langweiliger Nachmittag und Abend. Ich glaube, diese tief empfundene Langweilige führt letztendlich dazu, dass sich mein Baby aufrafft, um den Geburtsweg zu bestreiten.

 

 

 

Sonntag 24.05.2020 – Es geht los.

 

Es ist 3 Uhr in der Früh. Ich wache von ersten leichteren Wehen auf. Alle 15 Minuten durchfährt meine Gebärmutter eine Welle. Mit jeder Welle verstehe ich immer besser, warum man sie so nennt: Man merkt das Heranrollen schon von Weitem, bis sie einen ergreift und kurz nach dem Höhepunkt schnell wieder abflacht. Mit meiner Atmung kann ich jede Welle gut aufgreifen und dazwischen sogar ein bisschen dösen. Um 6 Uhr bin ich mir dann sicher, dass mein Baby heute noch auf die Welt kommen wird. Die Abstände sind jetzt bei 10 Minuten. Ich stehe auf, ziehe mir etwas Frisches an und kämme mir sogar noch die Haare. Teile meines Schleimpfropfs lösen sich. Im Laufe der Geburt wird noch einiges mehr hinzu kommen. Markus wacht auf, da ich jetzt doch anfangen muss zu tönen. Xaver schläft bis 8 Uhr einen ruhigen, tiefen Schlaf. Als er aufwacht, hört er mich, schaut mich irritiert an und sagt ein paarmal „laut“. Innerlich muss ich schmunzeln, weil NOCH bin ich ja gar nicht laut. Markus ruft meinen Papa an und vereinbart mit ihm, dass er Xaver um 9 Uhr holt. Die beiden frühstücken gemütlich und ich trinke zur Stärkung Saft mit Kefir. Ich gehe ins Bad und mache Musik an – Ludovico Enaudi. Während der gesamten Geburt läuft die Klaviermusik im Hintergrund. Während den Wehen höre ich sie nicht, aber in den Pausen trägt mich die Musik oft an einen Ort, an dem ich entspannen kann.

 

Nun beschließe ich, in die Badewanne zu steigen. Ich lasse warmes Wasser meinen Rücken hinunter laufen, was mir sehr gut tut. Obwohl die Wehen jetzt alle 5 Minuten kommen, fühlen sie sich im Wasser leichter an. Mein Papa kommt und holt den Xaver ab. Ich bin unendlich erleichtert, dass er jetzt gut aufgehoben und alles ohne Hektik abgelaufen ist. Nun rufe ich Eva an, muss währenddessen eine Wehe veratmen. Mein Anruf ist chaotisch, weil ich nicht riskieren möchte, dass Eva kommt und gleich wieder fahren muss, da sich noch nichts getan hat. Markus nennt den Anruf deshalb „Vorwarnanruf“ und vereinbart mit Eva, dass ich mich in einer halben Stunde noch einmal melde. Er selbst ist – noch mehr als ich – überzeugt davon, dass es noch seeeehr lange dauern wird. Xavers Geburt hat uns geprägt.

 

Plötzlich sackt mein Kreislauf weg und mir wird sehr übel. Ich steige aus der Badewanne, doch es hilft nichts; mir wird immer schlechter. Ich denke, ich muss mich übergeben. Markus ruft Eva an, um zu fragen, was wir gegen meine Übelkeit machen können. Die Antwort lautet „Cola“. Eva legt auf und sagt, dass sie in ca. 1 Stunde kommen wird. Es ist halb 10. Ich setze mich auf den Ball, versuche mich wieder etwas zu entspannen. Markus flößt mir Cola ein. Sie hilft. Trotzdem bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich es schaffe. 10 Uhr – es klingelt. Eva ist da! Sie ist ihrem Gefühl gefolgt und doch sofort gekommen. Sie möchte mich untersuchen, ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll und habe große Angst, dass sich an meinem Muttermund noch nichts oder wenig getan hat. Ich spüre auch, dass das Markus’ Sorge ist. Eva untersucht mich blitzschnell im Vierfüßler auf dem Bett – Muttermund 8 cm oder vielleicht sogar nur noch ein kleiner Rand. „Du hast schon toll gearbeitet.“ Ich bin den Tränen nahe. Der Befund gibt mir wieder Kraft. Es ist ein unglaubliches Gefühl.

 

Nun setze ich mich wieder in die Badewanne, Wasser läuft über meinen Rücken. Eva räumt und schleppt Sachen heran. Sie ist total geschäftig. Ich wundere mich, warum sie sich denn so beeilt. Wir haben doch noch Zeit! Trotzdem tut mir die Geschäftigkeit gut. Sie sagt mir, dass ich wirklich mein Baby bekomme – heute noch!!!

 

Immer wieder lasse ich Wasser aus der Wanne, damit neues, warmes Wasser auf meinen Rücken prasseln kann. Irgendwann fragt mich Eva, warum ich denn Wasser auslasse, die Wanne muss doch voll sein, wenn mein Baby kommt. Ich wundere mich, denn wir haben doch noch Zeit! Markus kommt in der Badehose zu mir in die Wanne. Ich kann mich an ihm anlehnen. Das tut gut.

 

Die Wehen werden immer heftiger. Manche kann ich gut nehmen und mit der Unterstützung von Markus und Eva gut verarbeiten. Doch immer häufiger kommen auch Wehen, die mich aus der Bahn werfen. Die Pausen kommen mir zu kurz vor. Ich will mich mehr erholen. Um ca. 11 Uhr kommt Marlene. Aus meinen tiefen Tönen werden plötzlich heftige Schreie. Meine Stimmbänder schmerzen. Bei jeder Wehe möchte ich lauter schreien, weil es Erleichterung verschafft. Aber meine Kehle schmerzt so sehr. Manchmal merke ich jetzt, dass eine Welle anrauscht und dann doch vor ihrem Höhepunkt bricht und keine Kraft hat.

 

Während all dieser Wehen spüre ich nicht nur, wie mein Kind mitschiebt, sondern auch, wie sich die Kleine in mir dreht und wendet. Sie findet ihren Weg nicht. Zu aller Anstrengung macht sich ein bisschen Frust breit. Ich habe das Gefühl, alle rechnen damit, dass mein Baby jede Minute kommt, doch ich spüre, dass es noch ein bisschen dauert. Aus meinem „Ja!“, das ich rufen soll, wird ein „Naaa!“ Die Wehenabstände werden wieder größer. Ich kann nicht mehr. Eva untersucht mich im Wasser und stellt fest, dass mein Baby oben am Muttermundsrand festhängt, nach unten hätte ich noch reichlich Platz. Eva und Marlene verlassen das Bad, damit ich pieseln kann. Es fällt mir sehr schwer, aber dann klappt es. Die beiden kommen zurück und schlagen vor, dass sie mich im Bett von einer Seite auf die andere lagern, damit sich das Köpfchen besser im Becken einstellt und durchkommt. Wir ziehen um.

 

Zwei Wehen lang liege ich auf der linken Seite, dann soll ich mich nach rechts drehen. Auf eine heftige Wehe folgt eine schwache. Marlene sagt, es sei wie bei einem Kamelhöcker. Markus liegt neben mir. Bei jeder Welle tönt oder brüllt er mit mir. Irgendwann soll ich prusten wie ein Pferd. Es fällt mir schwer, ich will schreien. Markus prustet mit, ich spüre Speichel spritzen und muss ein bisschen schmunzeln. Eine Wehe folgt auf die nächste. Die Abstände erscheinen mir sehr kurz. Marlene und Eva feuern mich an, loben mich, halten mich, motivieren mich, stützen mich. Sie wissen genau, was sie tun! Immer wieder heißt es, ich soll weiter nach hinten, nach unten schieben. Ich weiß nicht, wohin. Marlene zeigt mir dann mit ihrer Hand, wohin ich schieben soll. Es ist schmerzhaft, hilft aber sehr. Jetzt weiß ich, wo lang. Plötzlich öffnet sich meine Fruchtblase. Ein Schwall Fruchtwasser ergießt sich. Gleich geht es weiter. Wehe für Wehe. Schieben, prusten, noch mehr schieben. Eva sagt: „Fass zwischen deine Beine, du kannst das Köpfchen spüren!“ Und tatsächlich – ich fühle ein wulstiges Etwas zwischen meinen Beinen. Das soll der Kopf sein?! Doch eine unvorstellbare Kraftwelle durchflutet meinen Körper! Dorthin muss ich schieben! Zu meinem Baby! Und ich schiebe mit neuer, unbändiger Kraft. Ich schiebe sogar dann, wenn gar keine Wehe da ist. Ich will mein Baby! Es brennt, aber es ist ein unendlich angenehmes Brennen. Gleich ist sie da! Bloß nicht aufhören, sonst rutscht sie wieder zurück. Nur noch wenige Male Schieben und dann ist sie da! Sie schreit sofort, ich soll sie hochnehmen, brauche aber Hilfe beim Aufsetzen. Doch dann liegt sie da, auf meiner Brust – mein Baby! Ich habe sie zu Hause in meinem eigenen Bett auf vollkommen natürliche Art selbst geboren. Ich bin so stolz!

 

Es fehlt noch die Plazenta. Eva fragt, ob ich bereit bin. Ich weiß nicht, was sie tut, aber eine kleine Welle kündigt sich an, ich schiebe noch ein letztes Mal mit und dann ist sie auch schon da, die Plazenta. Sie ist vollständig.

 

Jetzt „ärgert“ mich Eva noch ein bisschen. Während sie meinen Dammriss näht, liegt die kleine Lina bei Markus auf der Brust. Ich schlucke ein erbsengroßes Stück Plazenta mit etwas Orangensaft hinunter. Dann wird unsere Tochter noch untersucht. Sie wiegt 4100 g, ist 53 cm groß, ihr Kopfumfang ist 35 cm, ihr Apgar-Wert ist 10/10. Ein rundum gesundes Mädel! Es ist 12:57 Uhr.

 

Es erfüllt mich mit großem Stolz, Teil des riesengroßen, natürlichen Kreislaufs von Leben und Tod zu sein und allen Ängsten getrotzt zu haben! Das Universum hat meine Wünsche gehört und mitgespielt.

 

 

 

 

 

Zum Vergleich hier meine Wunschgeburtsliste, die ich im Vorfeld geschrieben habe:

 

 

 

Meine Wunschgeburt beginnt in der Woche vor ET. Bis dahin habe ich mich fit und ausgeglichen gefühlt. Es ist alles vorbereitet und wir alle sind gesund.

 

Gegen Abend spüre ich, dass sich mein Baby auf den Weg macht. Markus hat genug Zeit, den Xaver zu meiner Mama zu bringen. Auch ein Beginn in der Nacht, wenn der Xaver eh zufällig bei meinen Eltern schläft, wäre toll.

 

Ich werde davon geweckt, dass die ersten Wellen kommen. Ich bleibe entspannt, atme ruhig und döse immer wieder weg. Meine Fruchtblase öffnet sich zu einem Zeitpunkt, an dem es keinerlei Unannehmlichkeiten bereitet. Irgendwann nachts stehe ich auf und lege mich in die Badewanne. Markus schläft weiter. Die Wellen kommen jetzt häufiger und intensivieren sich. Trotzdem schaffe ich es, gut mit ihnen umzugehen und positiv eingestellt zu bleiben. Irgendwann spüre ich, dass es Zeit wird, Markus zu wecken und Eva anzurufen. Markus und ich gehen ins Wohnzimmer; er macht Kerzen und ruhige Musik an. Er ist die ganze Zeit bei mir. Er hält mich, massiert mich, streichelt mich und erinnert mich ruhig zu atmen und einigermaßen entspannt zu bleiben. Alles fügt sich und ich fühle mich gut.

 

Als Eva kommt, merke ich, dass ich schieben möchte. Eine vaginale Untersuchung ist gar nicht notwendig. (Falls doch, möchte ich gar nicht wissen, wie weit mein Muttermund offen ist.) Ich merke, dass mein Baby jetzt wirklich das Licht der Welt erblicken möchte und gehe wieder in die Badewanne. (Eine Geburt im Wohn- oder Schlafzimmer, bei der mich Markus hält und stützt, stelle ich mir aber auch gut vor.)

 

Jetzt ist auch Marlene da. Beide Hebammen tun alles, um mir zu helfen und auf natürlichem Weg alles erträglicher zu machen. Sie unterstützen und motivieren mich mit Vorschlägen zu Positionen, mit Massagen und ruhigem Zuspruch. So findet mein Baby gut durch mein Becken und mit wenigen Atemzügen schiebe ich meine Tochter auf die Welt. Ich sehe, wie sie sanft ins Wasser gleitet und sich geborgen fühlt, als ich sie mir auf die Brust lege. Sie atmet und alles ist gut! Markus ist an meiner Seite, streichelt die Kleine sanft und fühlt das Auspulsieren der Nabelschnur, bis er sie durchtrennt. Mein Baby fängt schon an zu suchen; ich lege sie selbst an. In dem Moment kommt die Nachgeburt mit einem einzigen Atemzug. Die Plazenta ist vollständig und mein Damm ist heil. Eva oder Marlene schießen jetzt die ersten Fotos von uns 3. Nach kurzer Zeit liegen wir alle frisch im Bett, freuen uns, dass alles gut gelaufen ist und beginnen unser Leben zu 4.